Page 26 - Blutritt Weingarten 2017
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 Blutritt in Weingarten
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tären zu sehen, durch welche die Flur in alle vier Himmelsrichtungen gegen Blitz, Hagel, Unwetter und sonstige Lebenswidrigkeiten gesegnet wird.
Der Blutritt als Zeichen des sozialen Standes
Damit verdeutlicht der Blutritt viertens, dass er der Brauch einer Agrargesell- schaft ist, zugleich Ausdruck sozialer Rangfolgen, in der man sich über die Hofgröße definiert: Nur wohlhabende Bauern konnten sich Pferde leisten. Sein Selbstbewusstsein zeigt der Blutreiter, indem er seinem Herrgott, wenn auch nicht auf gleicher Augenhö- he, so doch hoch zu Ross gegenüber- tritt, vornehm mit Frack, Zylinder und weißen Handschuhen. Die Agrargesell- schaft Oberschwabens präsentiert sich dabei zugleich als eine patriarchalische Gesellschaft: Frauen sind vom Blutritt bis heute ausgeschlossen, es sei denn, sie verkleiden sich als Männer, was beim vorgeschriebenen Dresscode nicht so schwer fällt.
Der Blutritt als modernes touristisches Ereignis
Natürlich ist der Blutritt heute, fünf- tens, längst auch ein wichtiges touris- tisches Ereignis geworden, das sich hohen Zulaufs erfreut und natürlich die Aufmerksamkeit der Medien hat.
Oberschwaben hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine erhebliche Zuwanderung, auch von Protestanten,
erlebt. Die Konfessionsunterschiede zählen nicht mehr wie früher, so dass heute die Bürger Weingartens sogar einen Protestanten zum Oberbürger- meister gewählt haben. Schließlich hat auch die Kirchenbindung abgenom- men. Frömmigkeit weist längst nicht mehr den Stellenwert von einst auf. Doch auch touristische Attraktionen können Identität stiften und festigen.
Der Blutritt zeigt Oberschwabens Identität
Zusammengefasst zeigt der Blutritt die prägende Macht von Kirche und Bau- erntum für Oberschwabens Identität. Der Adel als weiterer Bestandteil Ober- schwabens ist, wie sich am Blutritt zeigt, eher ein Randphänomen, wenn- gleich ein einflussreiches, ja mächti- ges. Der Adel reitet nicht mit, bekommt aber einen privilegierten Platz: Seine Mitglieder sitzen, wie andere Honorati- oren auch, am Blutfreitag allenfalls im Chorgestühl des Weingartner Müns- ters auf der Tribüne, jedoch kaum auf dem Balkon des Rathauses.
Oberschwaben ist der Prägung nach nicht nur ein katholisches Bauernland. Oberschwaben ist auch ein Städteland, mit einer Fülle ehemaliger Reichsstäd- te. Sie sind beim Blutritt außen vor.
Städte haben andere Feste, über die sie sich definieren, ihre Identität pfle- gen: so das Biberacher Schützenfest (der „Schützen“) oder das Ravensbur- ger Rutenfest. Auch hier finden große Umzüge statt, die immer auch die je- weilige Stadtgeschichte präsentieren.






















































































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